[iL*]-Debattenblog
»Nationalstaaten auffällig unbesprochen«
Das Zimmerwald Komitee hat der IL geschrieben, um bezüglich des Zwischenstandpapiers in Diskussion zu treten. In zentralen Aspekten wünschen sie sich mehr Klarheit. Hier ihre Gedanken, Kritik weiterführenden Ideen.
Das Zimmerwald Komitee hat sich gegründet aufgrund der Feststellung, dass nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine ein Großteil der radikalen Linken in kürzester Zeit bisher formulierte Positionen aufgegeben hat. Die einen rufen dazu auf, die eigene Feindschaft mit der deutschen Regierung mal beiseitezulassen, schließlich hat Russland die Ukraine angegriffen und man solle die Ukraine mit Waffen unterstützen und Russland mit Sanktionen belegen. Die anderen sehen im Angriff Russlands die überfällige Gegenwehr gegen die Dominanz der USA und deren Partner in Europa. Die grundsätzliche Kritik an Staat und Nation, egal auf welcher Seite, wird fallen gelassen bei der Suche nach der richtigen Parteilichkeit.
Wir halten diese Parteilichkeit, egal für welchen Staat sie ausfällt, für grundsätzlich falsch. Dass in einer (drohenden) Kriegssituation die Position derjenigen, die eh schon wenig besitzen und/oder Diskriminierung ausgesetzt sind, dem nationalen Interesse der Verteidigung untergeordnet wird, lässt sich auch an zahllosen Beispielen belegen (Beispielhaft ist die Rücknahme der kaum zwei Jahre bestehenden Bürgergeldreform, die zumindest einige Erleichterungen für ALG II-Bezieher*innen beinhaltete, bis hin zu einer diskutierten Arbeitspflicht, bei gleichzeitigen Milliardenausgaben für Rüstung.). Daher halten wir es für sehr wichtig, die Gleichsetzung von Staatsinteressen mit denen der Bürger*innen, die unter deren Herrschaft fallen, offen und offensiv zu kritisieren.
Uns geht es nicht darum, darauf zu verweisen, dass ganz viele Linke ja eigentlich immer schon ihren oder den gegnerischen Staat gut fanden und das jetzt erst ans Licht kommt. Wir glauben aber, dass die oben beschriebenen Positionierungen linker Gruppen und Organisationen keine Zufälle sind, sondern aus einer falschen oder fehlenden Auseinandersetzung mit dem, was einen Staat ausmacht und wie Staaten sich in der Welt (also zwischen und gegen andere Staaten) bewegen, resultiert.
Beispiele dieser (fehlenden) Auseinandersetzung finden sich in eurem Positionspapier. Da die IL innerhalb der radikalen Linken einen sehr präsenten Platz hat (»eine der großen linksradikalen Strukturen im deutschsprachigen Raum«), wünschen wir uns hinsichtlich der von uns aufgeworfenen Fragen mehr Klarheit. Der folgende Text dient diesem Zweck.
Jede Menge KrisenIhr warnt vor »Militarisierung« und »Freund-Feind-Denken«. »Militarisierung“« (von wem oder was eigentlich?) ist aber die Folge von Kriegen, nicht deren Ursache. Eine Auseinandersetzung mit diesen Ursachen wird von euch gar nicht erst versucht. Warum? Gerade diese Auseinandersetzung ist doch existenziell für eine Gesellschaftskritik und deren praktische Umsetzung. Auch die Formulierung »Freund-Feind-Denken« halten wir für bedenklich. Meint ihr, es liegt am Denken der Akteure, dass Staaten sich gegenseitig Feindschaft erklären? Verfolgen nicht kapitalistische Staaten Interessen, die sich kreuzen, häufig auch ganz grundsätzlich ausschließen und daher auch regelmäßig zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen?
Ihr beschreibt in eurem Papier jede Menge krisenhafte Erscheinungen, die die Lebensbedingungen der Menschen auf dem Planeten verschlechtern. Klimakrise, Kriege, das Nicht-Funktionieren des »klassischen Kapitalismus« (von wann bis wann datiert ihr diese Periode eigentlich? – Wir haken nach, weil sich daraus die Frage ergibt, was ihr am heutigen Kapitalismus nicht »klassisch« findet.) mit der Folge der »Finanzialisierung«...
Über die Notwendigkeit einer Annäherung
Die Redaktion des kurdischen Nachrichtenportals ANF News hat im Sommer auf das IL-Zwischenstandspapier reagiert. Der Beitrag ist zuerst bei ANF erschienen erschienen.
Die Interventionistische Linke (iL) ist als eine der größten Organisationen des linksradikalen Spektrums im deutschsprachigen Raum mittlerweile fest etabliert. Angetreten vor 20 Jahren mit dem Anspruch »Raus aus der Szene, rein ins Handgemenge der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen« ist ihr Name heute vor allem verbunden mit bundesweiten Kampagnen wie Blockupy, NoG20, Seebrücke, Ende Gelände, Deutsche Wohnen & Co. enteignen, Rheinmetall Entwaffnen und anderen. Immer wieder zeigt sich die iL auch solidarisch mit der kurdischen Freiheitsbewegung, etwa durch ›Die Zeichen der Zeit erkennen: Rojava verteidigen – PKK-Verbot aufheben‹ oder auch jüngst bei der Kampagne Halim Dener. Mit kreativen Formen des massenhaften zivilen Ungehorsams gelang es der iL, große Bündnisse zu schmieden, die sich dann oft verselbständigt haben. Man wollte eine radikale Linke sein, »die organisiert ist und im Alltag präsent, die Gelegenheiten erkennt und entschlossen ergreift. Die kleinen Brüche zu großen ausweitet und die Wette auf eine Revolution eingeht.«
Vor vier Jahren dann begann innerhalb der iL ein Prozess der Neubesinnung. Auch weil sich die Welt(-unordnung) verändert hat, wurde das eigene Wirken hinterfragt. Welche Antworten auf die multiplen Krisen sind angemessen? Große Kampagnen oder Stadtteilarbeit an der Basis? Am Ende eines langen Ringens legte die iL Ende Juni nun ein neues Grundsatzpapier mit der Überschrift »Gegenmacht aufbauen, Gelegenheiten ergreifen« vor und widmete sich darin den Fragen »Welche Chancen und Aufgaben für die Veränderung der Welt sehen wir? Was sind die Strategien interventionistischer Politik in der aktuellen Lage?«
Marginalisierung der Linken überwindenEs folgt eine umfassende Analyse gegenwärtiger Krisen und wie diese das ökonomische, soziale und politische Geschehen beeinflussen. Die bittere Erkenntnis: Bestehende Herrschaftsverhältnisse werden durch das krisenbedingte Gefühl von Unsicherheit und Desorientierung eher stabilisiert. Die Linke findet kein Gegenmodell, verstrickt sich im Kleinklein, kämpft gegen »neoliberale Subjektivierung«, Selbstoptimierung, Individualismus, den Rückzug ins Private.
Für Möglichkeiten einer Intervention benennt die iL dann eher altbekannte Konfliktfelder, wie die falschen Versprechungen des Neoliberalismus, soziale Reproduktion, Klimakrise, Migration, Grenzregime und (Anti-)Rassismus – Ausgangspunkte, sich einzumischen, um Diskursverschiebungen zu erreichen und Alternativen aufzuzeigen zum »bürgerlich-liberalen Hoffnungsprojekt einer ›grünen‹ Modernisierung« und dem »offen autoritären, manchmal faschistischen Projekt der fossilen Rückwärtsgewandtheit«. Damit könne, so die Hoffnung, die Marginalisierung der Linken überwunden werden.
Weil das Verlangen nach Revolution alleine nicht reichtWeil »das Verlangen nach Revolution alleine nicht reicht« stellt die iL im folgenden Abschnitt die Frage nach den richtigen Strategien: »Wie identifizieren wir nicht nur Konfliktfelder, sondern werden in ihnen handlungsfähig? Was sind kollektive Organisationsformen für das 21. Jahrhundert? Wie bauen wir gesellschaftliche Gegenmacht auf?« Man setzt auf eine allmähliche Verschiebung der Kräfteverhältnisse und parallel dazu auf Intervention, wenn sich spontan die Gelegenheit ergibt, ein emanzipatorisches Projekt zu verfolgen: »Chancen erkennen und das zu tun, was unmöglich erscheint«.
Vergesellschaftung und SelbstverwaltungZentrale Forderung der iL ist der Kampf um Vergesellschaftung. Als Beispiel dafür wird die Kampagne ›Deutsche Wohnen und Co. Enteignen‹ genannt. »Vergesellschaftung meint die umfassende Demokratisierung von Produktion und Reproduktion, indem sie aus der Kontrolle von...
»Gegenmacht aufbauen« – aber wie?
Im Juli 2024 reagierte der Bund der Kommunst*innen in einem Statement auf das IL-Zwischenstandspapier. Der Beitrag erscheint nun hier in zweiter Veröffentlichung.
Wir versuchen uns an einem neuen Format: Wir nehmen das neue Zwischenstandspapier einer der größten linksradikalen Strukturen der BRD, der Interventionistischen Linken (IL), zum Anlass, mit einer schöpferischen Kritik in die Debatte zu gehen.
Die Interventionistische Linke (IL), eine der größten linksradikalen Vereinigungen der Bundesrepublik, hat ein »Zwischenstandspapier« ihres Organisationsprozesses veröffentlicht. Die Bilanz ihres Aufbauprozesses fällt dabei sehr selbstkritisch aus. Sie attestiert sich selbst »vor allem diskursive Erfolge erzielt« (Interventionistische Linke: Zwischenstandspapier #2 - Gegenmacht aufbauen, Gelegenheiten ergreifen, S. 21) zu haben, beklagt ein Wegbrechen vieler früheren Partner der von der IL maßgeblich vorangetriebenen »zivilgesellschaftlichen« Bündnisstrategie und konstatiert, dass sie nun einen Aufbau von »Gegenmacht« verstärkt in den Fokus nehmen wolle, um aus der Krise zu kommen. Dementsprechend trägt das Papier den Titel »Gegenmacht aufbauen, Gelegenheiten ergreifen«.
Nun gehören wir zu jenen Gruppen, die den Begriff Gegenmacht im Rahmen ihrer Strategie nutzen. Wir richten unsere Nachbarschaftsarbeit in unseren Stadtteilläden, die Arbeit in unserer Jugendorganisation und unsere neu begonnene Arbeit in Betrieben zu einem nicht geringen Teil an einem Konzept von Gegenmacht aus, das wir für uns in den vergangenen Jahren entwickelt haben. Dass diese Strategie immer breiter Anklang findet, sehen wir positiv. Zugleich bemängelt die IL in ihrem Zwischenstandspapier, rote Gruppen würden »der Suche nach dem Gemeinsamen eine Absage erteilen« (IL #2, S. 14) – uns soll das als Einladung gelten, das scheinbar geteilte: Revolutionärer Anspruch, strategische Orientierung auf Gegenmacht und die Organisierung, auf Gemeinsamkeiten und Differenzen abzuklopfen und in einen gemeinsamen Austausch über Strategie und Taktik zu treten.
I »Klarheit« und »Orientierung« nicht als Mangel ansehenDas allerdings erweist sich als gar nicht so einfach. Das Papier der IL ist lang und misst man es an Standards akademischer Redegewandtheit sicher auch vortrefflich geschrieben. Aber es ist alles andere als klar, nirgendwo sagt da jemand: »Das ist das, wofür wir einstehen und da können wir jetzt drüber streiten«.
Das Papier trägt so die typischen Züge postautonomer Selbstverständigungspapiere: Da steht keineswegs nur Falsches drin, vieles ist in Einzelaspekten durchaus treffend beschrieben. Aber es sagt eigentlich nichts Spannendes und wenn dann nur zwischen den Zeilen. Die Analyse der Gegenwart bleibt ein Mosaik: Hier ein bisschen Gramsci, dort ein bisschen Harvey, gelegentlich eine Prise Foucault. Alles wird irgendwie benannt, aber die Themen, die kontrovers sein könnten – NATO, Ukraine, Palästina – erfahren keine tiefere Behandlung. Allenfalls erklärt man noch, zu diesen Themen habe auch »die IL viel gestritten und zu wenige Antworten gefunden« (IL #2, S. 13). Die Arbeiterklasse kommt nicht vor – außer als »migrantisierte« (IL #2, S. 10), da existiert sie dann doch noch, wenn auch nur beiläufig. Irgendeinen besonderen Subjektcharakter neben allen anderen Gruppen, die es so gibt, hat sie für die IL jedenfalls nicht.
Es geht uns im Folgenden nicht nur um ihre Analyse der Gegenwart, sondern um die strategischen Schlüsse der IL, die für die Veränderung der Gegenwart notwendig sind. Die Passagen zu der politischen Strategie,...