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Gießen 2025 - ein erstes Fazit
Tausende, die einen Schritt weiter gehen, sich der AfD widersetzen - Wir sind immer noch begeistert!
Die Hoffnung, dass sich Leute über widersetzen antifaschistisch organisieren, ist aufgegangen. Mit 15.000 Menschen in 19 Blockaden haben die Aktionen in Gießen gegenüber Riesa nochmal eine Schippe draufgelegt. Das alles wäre nicht möglich gewesen ohne all die Menschen, die Demos und Busanreisen organisiert haben, die den EA gestellt, in der Küfa gekocht, Erste Hilfe geleistet und Interviews gegeben haben, und so weiter.
Auch was den konkreten Effekt der Blockaden angeht, haben wir in Gießen mehr gestört als bisher: alle relevanten Zufahrtswege waren zeitweise blockiert, was zu 2,5h Verzögerung des Kongressbegins führte - Weidel, Chrupalla und Hohm kamen erst mit über einer Stunde Verspätung und mit einer groß angelegten Polizeieskorte zur Veranstaltung.
Eine neue Qualität der RepressionReflexhaft und ohne sich lange mit Fakten aufzuhalten haben sich Merz, Dobrindt und die hessische CDU an die Seite der AfD gestellt - ein weiterer Schritt in Richtung einer möglichen Regierungsbildung mit der AfD. Auch tagesschau, Deutschlandfunk, hessenschau und Co haben die talking points von Polizei und AfD unhinterfragt übernommen. Ein Beispiel: Es wurde behauptet, dem viralen Video, in dem man sieht, wie Cops auf den goldenen Finger losrennen und die ersten Reihen verprügeln, sei eine Ansage der Cops vorangegangen. Das stimmt einfach nicht. Die Verbreitung dieser und anderer Polizeilügen hat das Narrativ von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen" gestärkt.
Wenn sich dann der DGB als Bündnispartner im Nachgang zu widersetzen bei der Polizei bedankt, müssen wir feststellen, dass der Rechtsruck nicht vor der Zivilgesellschaft halt macht.Und die Polizei? Die hat in Gießen getan, was sie nunmal tut: Durch öffentliche Panikmache den Protest schon im Vorfeld kriminalisiert und so einen massiven Polizeieinsatz legitimiert. Sowohl die Behörden als auch die großen Parteien der Mitte sind auf den Zug der AfD aufgesprungen und haben die Angstmacherei weiter angeheizt. Neben der Propaganda im Vorfeld des Aktionstags, die auch kurzfristige und weitreichende Versammlungsverbote zur Folge hatte, die die Proteste massiv erschwert haben, hat aber auch die Gewalt am Aktionstag selbst eine neue Qualität gehabt: Wir standen vielerorts einer völlig enthemmten Polizei gegenüber, die schwere Verletzungen von Aktivist*innen verursacht hat - und das, obwohl von unserer Seite keine Eskalation ausging. Das lässt erahnen, womit die antifaschistische Bewegung bei militanteren Aktionsformen rechnen kann.
Dass die Polizei bereits bei angemeldeten Demonstrationen härteste Geschütze auffährt, macht deutlich, wie weit fortgeschritten der Rechtsruck bereits ist. Es geht nicht mehr nur darum, Blockaden zu räumen. Sondern darum, die Menschen bereits im Vorfeld so zu verprügeln, dass sich die Blockade erst gar nicht ergeben kann.Doch auch davon haben wir uns nicht aufhalten lassen - und werden es auch in Zukunft nicht tun.
Generation Deutschland 800 vs Generation Antifa 15.000Wir haben den Jungnazis die Show gestohlen. Während in der Gießener Messehalle nichtmal tausend Rechte die Gründung der "Generation Deutschland" ausriefen, fanden auf den Gießener Straßen 50.000 Menschen aus der ganzen Republik zusammen und davon unglaubliche 15.000 Menschen in den Blockaden: Omas, Auszubildene, Schüler*innen, Gewerkschafter*innen, Migrant*innen und Aktivist*innen. Mit ihren Körpern haben sie die Versammlung der Faschist*innen über 2,5h effektiv blockiert. Mit ihrer Entschlossenheit waren sie die moralische Kraft, die in Politik und Gesellschaft immer stärker verloren geht. Sie sind der gesellschaftliche Widerspruch gegen die Ausgrenzungspolitik von CDU, SPD und Co.
Die vielen, die sich der AfD widersetzen, stellen den konkreten Gegenentwurf zur herrschenden Politik dar. Wir sind die Generation Antifa, die Solidarität lebt und für eine Gesellschaft der Vielen streitet!
Aber zu unserer Auswertung gehört leider auch: Trotz dieser Mehrheitsverhältnisse haben wir es nicht geschafft, die AfD als radikale Minderheit und uns als demokratische Mehrheit zu framen. Im Gegenteil: Wir wurden als radikale Minderheit dargestellt! Und die Gründung der rechtsextremen AfD-Jugend als ganz normaler demokratischer Akt... Auch das ist ein Resultat der medialen Berichterstattung, die die Framings der Polizei übernimmt und die Vorbereitung der politischen "Mitte" auf eine gemeinsame Regierung mit der AfD mitträgt.
Wie weiter?Gießen war ein weiterer Höhepunkt von widersetzen und macht nach Essen und Riesa deutlich: Es gibt eine junge und sehr dynamische antifaschistische Bewegung in Deutschland. Mit Blick auf den Bundesparteitag der AfD am 4.7.26 in Erfurt lässt das Großes erwarten.
Ohne bundesweit aktive, linksradikale Organisationen wie die IL wäre widersetzen allerdings kaum denkbar. Umso wichtiger ist es, dass die Menschen, die sich in Gießen den Faschos entgegengestellt haben, jetzt dabei bleiben und sich organisieren. Die zahllosen lokalen widersetzen-Gruppen und Bündnisse bieten dafür eine niedrigschwellige Möglichkeit.Für uns ist klar, dass es antifaschistische Strukturen und Netzwerke und vor allem eine handlungsfähige Bewegung braucht, um dem Rechtsruck und der Verbreitung von rassistischen und autoritären Ideologien entgegenzutreten. Mit widersetzen haben wir einen Ort für Diskussion, Strategieentwicklung und antifaschistische (Erst-)Organisierung geschaffen und einen Schritt unternommen, um die Lücke offener antifaschistischer Organisierungsangebote schließen.
Dennoch stehen wir vor einigen Fragen:
- Braucht es eine stärkere Verankerung von widersetzen in der Zivilgesellschaft, um sich auf die zunehmenden Angriffe von Rechts vorzubereiten und klare antifaschistische Haltungen zu stärken? Wie lässt sich das erreichen?
- 15.000 in Aktion und 2,5h Verzögerung - können wir das noch steigern?
- Wie kann die antifaschistische Bewegung um widersetzen auch jenseits von groß angelegten Aktionstagen zu einem Faktor werden?
- Und wie schaffen wir es, neben der AfD auch diejenigen zu adressieren, die ihre Forderungen bereits jetzt schon umsetzen? Denn wir stehen nicht nur der AfD als Impulsgeberin der Faschisierung gegenüber, sondern auch einer politischen "Mitte", die ihre Forderungen bereits aufgreift und umsetzt. Und die Faschisierung damit selbst aktiv vorantreibt.
Diese Fragen nehmen wir mit ins neue Jahr - in dem nicht nur der AfD-Parteitag in Erfurt ansteht, sondern auch Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, und Baden-Württemberg. Und eins ist klar: Die AfD und ihre Wegbereiter müssen mit unserem Widerstand rechnen.
Zeitenwende und AfD
Seitdem die „Zeitenwende“ ausgerufen wurde, findet in Deutschland eine beispiellose Militarisierung der Gesellschaft statt. Milliarden werden für die Aufrüstung der Bundeswehr bereitgestellt. Die Gesellschaft soll kriegstüchtig werden. Doch Krieg bedeutet Gewalt, Tod und Zerstörung. Deshalb müssen wir um jeden Preis vermeiden, dass sich die weltweite Aufrüstungsspirale weiterdreht. Auch wenn EU, NATO und die Bundesregierung uns weismachen wollen, dass das Ziel „unser“ Schutz sei: Es geht allein um Macht und Interessenpolitik, um Rohstoffe, Märkte und geopolitischen Einfluss – nicht um die Menschen vor Ort und ihre Rechte.
Welche Werte?
Gerade seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird behauptet, „unsere“ Werte müssten nun wieder mit Waffen verteidigt werden. Wir fragen: Welche Werte? Die Werte des Landes, in dem der NSU mordete und die Städte Halle und Hanau für rechten Terror stehen? Eines Landes, in dem fast jeden Tag ein Femizid verübt wird? In dem Hunderttausende Menschen wohnungslos und so wenige so unfassbar reich sind? Die Werte der Europäischen Union, die das Mittelmeer zum Massengrab für Migrant*innen macht? Oder sind es vielleicht doch die Werte der Rüstungsindustrie, die ihre Interessen mehr schlecht als recht hinter der Demokratie versteckt?
Profite für die Rüstungsindustrie
Überhaupt, die Rüstungsindustrie. Während bei Rüstungskonzernen wie Rheinmetall die Korken knallen, wird woanders gespart. Kürzungen bei Bildung, Gesundheit, Pflege, Kultur, Klimaschutz und sozialem Wohnungsbau zeigen: Wer die Kriegswirtschaft fördert, zerlegt den Sozialstaat. Und das wiederum fördert Abstiegsangst, Frustration und das Gefühl, dass dieser Staat nichts für die Menschen tut. Davon profitiert die AfD. Noch schlimmer: Durch Kürzungen bei der Demokratieförderung geraten gerade in kleineren Städten Demokratieprojekte unter den Druck der Rechten. Wer bei Sozialem und Bildung kürzt, um aufzurüsten, ebnet der AfD den Weg.
Feindbilder
Mit den Kriegsvorbereitungen werden immer auch die Ängste der Menschen ausgenutzt. So werden Feinde im Inneren geschaffen, die „Schuld“ sind an den Krisen der Zeit. Menschenfeindliche Ideologien wie Rassismus werden zunehmen. Damit findet bereits eine autoritäre Entwicklung statt, die ohne die AfD an der Regierung auskommt – die ihr aber bestens in den Kram passt.
Staatliche Repressionen
Wie Antifaprotest werden auch Antikriegs-Demos von der Polizei brutal attackiert. Außerdem wird – wie im Fall des Rheinmetall-Entwaffnen-Camps 2025 – versucht, Antimilitarismus juristisch zu verbieten. Die Gesetze zum Kriegs- und Krisenfall ermöglichen es, im Inland Militärpolizei einzusetzen. Die sogenannten „Heimatschutzdivisionen“ haben kein anderes Ziel, als an der „Heimatfront“ den Widerstand der Zivilgesellschaft zu unterdrücken. Eine AfD-Regierung würde diese Apparate nutzen, um politische Gegner*innen zu verfolgen.
Wehrpflicht
Die Bundesregierung überbietet sich mit Vorschlägen zur Wehrpflicht. Die Bundeswehr verspricht jungen Männern Abenteuer, gute Löhne und Heldentum. Doch im Militär werden Härte, Disziplin und Gehorsam vermittelt. Diese sind zentral für Männlichkeitsphantasien, wie sie die „Soldatenpartei“ AfD vertritt. Wir dagegen streiten für eine feministische Gesellschaft der Solidarität und Fürsorge – und in der soldatische Männlichkeit nichts zu suchen hat. Deshalb stehen wir an der Seite aller Kriegsdienstverweigerer*innen und Deserteur*innen.
Antimilitarista!
Antimilitarismus gehört dazu, wenn unser Antifaschismus bereits die Möglichkeit für eine bessere Gesellschaft enthalten soll. Wir wollen keine Gesellschaft, die sich hinter NATO-Stacheldraht abschottet. Wir sind für ein Ende der Gewalt und für die Gesellschaft der Vielen: antimilitaristisch und antifaschistisch.
Be/Nach/Gießen: Strategien gegen den Rechtsruck
Wir bringen Praxis und Theorie zusammen! ✊ Während widersetzen in Gießen die Gründung der AfD-Jugendorganisation verhindert, erscheint zeitgleich das Themenheft 'Strategien gegen den Rechtsruck' in der Zeitschrift Berliner Debatte Initial.
Die dort versammelten Ansätze - von Kunst, Kultur über Gewerkschaften, Haustürwahlkampf und Aktivismus bis zu Pädagogik und Phantasie diskutieren wir mit unseren Gästen: Gast-Prof. Dr. Alexander Neupert (JLU Gießen), Dr. Eva Seidlmayer (Informationszentrum Lebenswissenschaften Köln) und Patrick Bredl (Institut für Didaktik der Demokratie Hannover).
Ab 21:30 Uhr: Ausklang in der IL Kneipe
Eine Veranstaltung der Interventionistischen Linken Hannover.
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